Nach Jahren der Kritik, Kontroversen und Urteile hat der Präsident von Tadschikistan, Emomali Rahmon, heute ein Gesetz unterzeichnet, das die strafrechtliche Verfolgung von Likes und anderen Reaktionen in sozialen Netzwerken aufhebt.
Ein historischer Schritt – zumindest symbolisch. Doch im Hintergrund stehen die Geschichten vieler Tadschiken, die bereits wegen harmloser digitaler Gesten jahrelang im Gefängnis sitzen. Die zentrale Frage bleibt: Ist das ein echter Schritt in Richtung Meinungsfreiheit – oder ein politisch kalkulierter Rückzug nach starkem Druck?
Als ein Like ein Beweis für ein Verbrechen war
Frühere Gesetze ermöglichten es, bereits ein Like oder das Teilen eines Beitrags als Unterstützung von Extremismus oder Aufruf zur Unruhe zu werten. In der Praxis wurden Bürger angeklagt, nur weil sie einen regierungskritischen Beitrag markiert hatten.
Einige Beispiele:
- 2021 wurde ein 22-jähriger Mann aus Schachrinau zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er ein Video mit Regierungskritik „geliket“ hatte.
- 2022 erhielt ein Lehrer in Sughd zwei Jahre Gefängnis, weil er ein YouTube-Video eines im Ausland lebenden Oppositionspolitikers markiert und weitergeleitet hatte.
Diese Fälle führten zu einer Atmosphäre der Angst, viele Nutzer hörten auf, sich öffentlich zu äußern – selbst in Form eines Emojis.
Ein Gesetz, das mehr Angst als Aufklärung schuf
Offiziell wurde die alte Regelung als Teil der Anti-Extremismus-Strategie begründet. Doch de facto diente sie der Unterdrückung abweichender Meinungen, insbesondere online.
Rechtsexperten wiesen darauf hin, dass ein Like allein kein Beweis für Zustimmung, Beteiligung oder Intention ist. Es ist ein schwaches, oft symbolisches Signal – und kein Verbrechen.
Ein Fortschritt – oder ein taktischer Schritt?
Das heute unterzeichnete Gesetz hebt die Kriminalisierung von Likes auf. Offizielle Stellen sprechen von einem Schritt hin zu moderner Gesetzgebung und Menschenrechtsstandards. Doch:
- Es gibt kein offizielles Eingeständnis, dass frühere Urteile falsch oder überzogen waren.
- Es ist nichts bekannt über die Freilassung der bereits verurteilten Personen.
- Es gibt keine Anzeichen für Entschädigungen oder Rehabilitierung.
Warum dieser Schritt wichtig – aber unvollständig ist
- Er ist ein verspätetes Zugeständnis an internen und internationalen Druck.
- Das Strafrecht enthält weiterhin unklare, dehnbar auslegbare Formulierungen.
- Die Praxis geheimer Gerichtsverhandlungen und fehlender Transparenz wurde nicht thematisiert.
- Und vor allem: Das Schicksal der unschuldig Inhaftierten bleibt unbeantwortet.
Fazit: Likes sind kein Verbrechen mehr – aber Gerechtigkeit sieht anders aus
Die heutige Gesetzesänderung ist ein symbolischer Schritt. Doch in einem Land, in dem Menschen für ein digitales Zeichen der Zustimmung ins Gefängnis kamen, reicht ein neues Gesetz allein nicht aus.
Ohne Anerkennung des Unrechts, ohne Entlassungen, ohne Aufarbeitung – bleibt die Gerechtigkeit weiter in Haft.
Denn in einem System, wo ein „Like“ ein Verbrechen war, kann ein Federstrich allein keine Freiheit bringen.